©  

Die Spur zum Stall

Ein neues Verfahren offenbart die Herkunft von Rindfleisch. Zur Überwachung eignet es sich besser als großflächige Gentests

Wer zu Markus Boner möchte, muss an Atomreaktoren vorbei. Zwischen den Backsteingebäuden des Forschungszentrums Jülich ragen die drei Meiler wie Getreidesilos hervor. Nur einer von ihnen ist noch in Betrieb. Das Forschungszentrum verabschiedet sich aus dem Nuklearzeitalter. Doch noch immer erinnern solide Zäune und Überwachungskameras daran, dass hier mit spaltbarem Material hantiert wird. Auch das Institut für Nuklearchemie, wo Boner arbeitet, klingt beängstigend nach Radioaktivität.

Mit radioaktiver Strahlung hat die Arbeit von Boner nichts zu tun, doch brisant ist sie allemal. Denn das Material, mit dem der Lebensmittelchemiker seine Messgeräte neuerdings füttert, ist Rindfleisch aus deutschen Kühltheken. Boner soll prüfen, ob die Herkunft der Steaks korrekt ausgezeichnet ist - oder ob der Stempel trügt.

Derzeit geht er einer Bitte des chemischen Untersuchungsamtes Hagen nach: Dort wunderte man sich, woher plötzlich große Mengen von argentinischem Rindfleisch auftauchten - just nachdem das Siegel "Deutsches Rindfleisch" nicht mehr für ein BSE-freies Produkt garantieren konnte. Das riecht nach Etikettenschwindel, meinten die Hagener Lebensmittelwächter und engagierten Markus Boner und seine Kollegen. In wenigen Wochen sollen die Ergebnisse vorliegen. Die eigentliche Analyse bewältigen Boners Messgeräte in wenigen Tagen. Sollen die Wissenschaftler die Herkunft auf eine Region oder gar auf einen bestimmten Hof eingrenzen, dauert es bis zu einer Woche - etwas länger als der endgültige Nachweis von BSE im Fleisch. Dafür ist Boners Herkunftsnachweis mit 200 Mark pro Probe billiger. Spätestens in einigen Monaten soll sein Test serienreif sein.

Isotopenkarten entlarven auch Weinfälscher und Butterschieber

Anzeige

Die Spur zum Stall, in dem ein Rind gestanden hat, legen die natürlichen Isotope in einer Fleischprobe. "Beim Wort Isotop denken viele an Radioaktivität", sagt Boner. "Doch bei uns strahlt nichts. Die Isotope, die wir untersuchen, sind stabil." Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel, die Elemente des Lebens, liegen in verschieden schweren Formen vor, den Isotopen: Sie unterscheiden sich durch die Zahl der Neutronen, der ungeladenen Bausteine des Atomkerns. Die Zahl der Protonen, der positiv geladenen Kernbausteine, entscheidet dagegen darüber, zu welchem Element ein Atom gehört. Bei jedem Element dominiert meist eine Form, ein Isotop. Beim Kohlenstoff überwiegt beispielsweise mit beinahe 99 Prozent die leichtere Form mit sechs Neutronen.

Doch das Verhältnis der Isotope in einer Probe schwankt: mit dem Ort, dem Wetter oder auch dem Weg, den ein Stoff durch eine Pflanze nimmt. Denn Isotope unterscheiden sich in ihren physikalischen Eigenschaften. Leichtere Wassermoleküle etwa verdampfen schneller als schwere. "Selbst chemisch verhalten sich die Isotope eines Elements verschieden, auch wenn Lehrbücher das Gegenteil behaupten", sagt Hilmar Förstel, der die Forschung an stabilen Isotopen in Jülich leitet. In jeder chemischen Reaktion spielt die Geschwindigkeit eine Rolle. Schwerere Moleküle sind träger als leichte und reagieren deshalb langsamer. Darum wandeln Pflanzen leichtes und schweres Kohlendioxid unterschiedlich schnell zu Zucker um.

Dorthin, wo die Jülicher Forscher solchen Unterschieden nachspüren, gelangt man nur mit vorschriftsmäßiger Strahlenschutzplakette - noch ein Relikt der Kernforschung. Aus den Apparaten, kaum größer als Getränkekisten, lugen nur einige Drähte und Schläuche hervor. Kern der Anlage sind zwei Massenspektrometer: Sie können auch kleinste Unterschiede in den Mengen schwerer und leichter Moleküle entdecken.

Um zu analysieren, woher ein Stück Rindfleisch kommt, untersucht Boner das Sauerstoff-Isotopen-Verhältnis in der Gewebeflüssigkeit der Probe. Gleichzeitig verbrennt er einen getrockneten und zermahlenen Brocken Fleisch und untersucht die Kohlenstoffmischung. Wie viel von einem Isotop sich im Steak ansammelt, hängt nicht nur von der Weide ab, auf der die Kuh stand, und aus welchem Bottich sie gesoffen hat. Da spielt auch das Futter eine Rolle und welchen Weg das Vieh dann nimmt, bis es zerlegt in der Kühltheke landet.

Um ein möglichst genaues Bild zu zeichnen, untersucht Boner auch das Isotopenverhältnis von Schwefel, Stickstoff und einem Erdalkalimetall. Argentinisches Fleisch weist dabei ein ebenso charakteristisches Isotopenbild auf wie deutsches oder britisches. Durch den Vergleich mit einer Originalprobe aus dem jeweiligen Land kann Boner ermitteln, ob die Herkunft eines Tieres richtig angegeben ist. Der Lebensmittelchemiker traut sich sogar zu, einen in den Papieren genannten Hof als Heimat eines Rinderbratens zu bestätigen oder auszuschließen.

Boner träumt davon, eine Datenbank anzulegen, mit je einer Fleischprobe pro Bauernhof. Eine solche Isotopenkarte wäre weit weniger aufwändig als die genetische Geburtsurkunde, die die Landwirtschaftsminister der Länder am Wochenende für jedes Rind vorgeschlagen haben. Für den genetischen Herkunftsnachweis wäre eine Datenbank mit rund 15 Millionen Einträgen allein der deutschen Rinder notwendig - mit jährlich etwa drei Millionen Neuzugängen. Für ein Archiv mit Isotopenmarken reichten dagegen Daten von den rund 270 000 Betrieben, die in Deutschland Rinder züchten.

Isotopendatenbanken sind nicht neu: Weinprüfer und Lebensmittelchemiker aktualisieren jedes Jahr eine europäische Bibliothek mit den Isotopenverhältnissen in Rot- und Weißwein aus etwa 1000 Anbaugebieten und Rebsorten. Sie wollen Winzer überführen, die den Alkoholgehalt eines dünnen Weins unzulässig erhöht haben. Fälscher füttern die Gärhefe dabei mit einem Schuss Zuckerlösung, damit sie mehr Alkohol erzeugen kann. Das Isotopenverhältnis enthüllt zudem, ob sich eine Flasche zu Recht mit dem Namen Chablis schmückt.

"Mancher fragt, ob der Aufwand für reinen Wein überhaupt lohnt", sagt Reiner Wittkowski vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin. "Doch es ist Betrug am Verbraucher, wenn in seiner Weinflasche nicht das ist, was draufsteht." Zudem griffen die Fälscher zu immer dreisteren Methoden, wenn niemand sie aufhalte: "Dann haben wir bald wieder Methanol im Wein."

Die Jülicher Isotopenforscher kamen auch Perlweinfälschern auf die Spur. Mit künstlichem Kohlendioxid hatten einige Kellereien den Wein zum Sprudeln gebracht. "Der Verbraucher mag es prickelnd", erklärt Hilmar Förstel. "Der Hersteller will aber keine Sektsteuer zahlen, die bei einem bestimmten Kohlendioxidgehalt fällig wird." Also pumpen die Fälscher gerade so viel Kohlendioxid in die Flasche, dass sie die Steuergrenze noch wahren. Ihr Pech nur, dass Förstel und sein Team feststellen können, ob Kohlensäure aus Zucker oder im Kohlefeuer entstanden ist: Kohlendioxid, das beim Verfeuern fossiler Brennstoffe entsteht, enthält besonders viele des leichten Isotops.

Nicht immer fahnden Lebensmittelprüfer im Isotopenverhältnis nach Pfusch bei der Zubereitung, manchmal jagen sie auch Subventionsbetrüger: Manche verschieben beispielsweise Butter - den doppelten Verdienst im Auge. Einmal kassieren die Händler, wenn sie Butter aus der Europäischen Union ausführen. Dafür gibt es Subventionen, weil der Butterberg abgetragen wird. Zum zweiten Mal machen sie Gewinn, wenn sie die Butter wieder einführen, um die satten EU-Preise zu erzielen. Damit sie diesen nicht an den Zoll verlieren, müssen sie nur den Umschlagplatz sorgfältig aussuchen: Länder des Baltikums etwa gehören nicht zur EU, in sie lässt sich also subventioniert exportieren. Beim Import allerdings sind sie privilegiert, sie zahlen niedrige Zölle. Die Schieber deklarieren kurzerhand die Butter, die aus holländischem Rahm geschöpft wurde, zu estnischer um und bringen sie zurück in hiesige Supermärkte.

"Um die Schmuggler zu entlarven, reicht die Analyse eines Elements allerdings nicht aus. Wir müssen möglichst alle Elemente der Biomoleküle untersuchen", sagt Andreas Roßmann. Der Agraringenieur von der Technischen Universität München kam kürzlich zusammen mit Förstels Team holländischen Großhändlern auf die Schliche, die ihre Butter auf dem Umweg über Estland und Lettland vergolden wollten. Ihre Daten speisen die Wissenschaftler nun in eine weitere Isotopendatenbank der EU ein - eine Bibliothek mit Isotopenverhältnissen in Milchprodukten.

©  

fÜr Sie ausgewÄhlt

Anzeige

Mr. Check

  • 1.Wort markieren
  • 2.Button anklicken
  • 3.Erklärung erscheint!

Wõrter der Woche

Anzeige



SERVICE- und WERBEPARTNER VON ZEIT ONLINE

Testberichte | Nachrichten zu Aktien | Online Marketing | Private Krankenversicherung | Software Downloads | OnlineshopKreditkarten kostenlos |  TUI |  Autoversicherung Vergleich |  Preisvergleich |  DSL Vergleich |  Kredite |  Gesundheit